Buchhandlung Alexowsky

Suche

MiroloiOverlay E-Book Reader

Miroloi

Roman | Karen Köhler

E-Book (EPUB)
2019 Carl Hanser Verlag Gmbh & Co. Kg
464 Seiten
ISBN: 978-3-446-26490-8

Rezension verfassen

€ 12,99

in den Warenkorb
  • EPUB sofort downloaden
    Downloads sind nur in Österreich möglich!
  • Als Taschenbuch erhältlich
  • Als Audio erhältlich
Kurztext / Annotation
'So eine wie ich ist hier eigentlich nicht vorgesehen.' - Karen Köhlers erster Roman über eine junge Frau, die sich auflehnt. Gegen die Strukturen ihrer Gesellschaft und für die Freiheit
Ein Dorf, eine Insel, eine ganze Welt: Karen Köhlers erster Roman erzählt von einer jungen Frau, die als Findelkind in einer abgeschirmten Gesellschaft aufwächst. Hier haben Männer das Sagen, dürfen Frauen nicht lesen, lasten Tradition und heilige Gesetze auf allem. Was passiert, wenn man sich in einem solchen Dorf als Außenseiterin gegen alle Regeln stellt, heimlich lesen lernt, sich verliebt? Voller Hingabe, Neugier und Wut auf die Verhältnisse erzählt 'Miroloi' von einer jungen Frau, die sich auflehnt: Gegen die Strukturen ihrer Welt und für die Freiheit. Eine Geschichte, die an jedem Ort und zu jeder Zeit spielen könnte; ein Roman, in dem jedes Detail leuchtet und brennt.

Karen Köhler hat Schauspiel studiert und zwölf Jahre am Theater in ihrem Beruf gearbeitet. Heute lebt sie auf St. Pauli, schreibt Theaterstücke, Drehbücher und Prosa. Ihre Theaterstücke stehen bei zahlreichen Bühnen auf dem Spielplan. 2014 erschien ihr viel beachteter Erzählungsband ' Wir haben Raketen geangelt'. 2017 erhielt sie für ihren Roman ' Miroloi' (Hanser 2019) ein Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung, 2018 das Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

ZWEITE STROPHE

(Das Dorf)

Unser Dorf ist kalkweiß und liegt hoch oben am Berg. Wie eine Schafherde in der Landschaft, alle Häuser dicht beieinander, eng, schattig, drübensicher, so liegt das Dorf am Berg. Einzig das Bethaus liegt noch höher, deswegen ist der Weg vom Laden nach Hause für mich auch der längste. Unsere Gassen, Wege, Treppen haben wir Stufe um Stufe, Stein um Stein mit Kalk umrandet, damit uns nachts der Mond zeigen kann, wo es lang geht. Ich darf nicht auf die Linien treten, das habe ich so mit mir ausgemacht.

Im Dorf trage ich stets mein dummes Gesicht zur Schimpfwortkrone. Ich schwenke mein Einkaufsnetz am Platz vorbei. Da sitzen die Männer im Schatten der Bäume vorm Lokal, trinken Kaffee und Schnaps, rauchen Tabak, zählen Betperlen, spielen Spiele, diskutieren Männersachen, lesen, machen Pläne, warten darauf, dass sie endlich nach Hause gehen können, warten darauf, dass ihre Frauen, Töchter, Enkeltöchter endlich das Feld, den Hof, das Haus, das Essen bereitet haben.

Mit den Kindern im Nacken zickzacke ich durch die Gassen, weiche grüßend aus, gehe stetig bergauf und halte meinen Blick gesenkt. Für mein rechtes Bein kann auch der ebenste Boden jederzeit zum Hindernis werden. Vorbei am Lokal, an der Schule, vorbei an der stinkenden Rinne, an den Frauen in den Fenstern und Türen, vorbei an den Blicken, dem Schweigen, dem Argwohn der Männer, dem Spott. Unter meinen Füßen wird der Boden von Stein zu Zement zu Staub.

Hinter dem Dorf bin ich sicher, hier lassen die Kinder von mir ab, hier fängt die Treppe an, auf der ich vor vielen Jahren lag, in einem Bananenkarton unter der Zeitung vom Sommer davor. Auf der ersten Seite stand etwas von einem Krieg und einem großen Fußballturnier. Von beidem weiß ich nicht genau, was das ist, habe nur eine Phantasie davon, und das Wort Bombe denke ich. Kann sein, dass es da irgendwo diese Welt aus der Zeitung von damals noch gibt, so wie es mich noch gibt. Hier. Jetzt. Schritt um Schritt.

Die Treppe ist weichgetreten von unzähligen Füßen in unzähligen Jahren. Speckig glänzen die Steine in der Sonne und erzählen still davon. Wenn du nicht aufpasst, bringen sie dich zu Fall. Und weil jetzt Frühling ist, sprießen aus allen Ritzen dazwischen wilde Blumen. Margeritenköpfe schauen sich eine Spur aus Mohnkleksen an, Storchenschnäbel erobern großflächig die Ränder, an den Mauern wechseln sich Inseln aus Absinth, Salbei und Oregano ab. Ein Gelbling tanzt vor meiner Nase, fliegt mir voraus und lässt sich auf einer Blüte nieder. Auf dem Weg nach oben siehst du sie alle: Auch Spitzschwänze, Königsfalter und Vieraugen flattern mit ihren dünnen Flügeln in seltsamem Taumelflug. Jetzt ist wirklich die beste Zeit. Alles blüht und duftet, es ist nicht mehr kühl, aber tagsüber noch nicht zu warm, so dass du gut arbeiten kannst. Doch wart nur ab, in ein paar Wochen ist alles wieder braun und gelb und du sehnst dich nach dem Grün und nach der wilden Blüte.

Endlich bin ich am Bethaus und die Zeit steht gut für mich, der Schatten der Sonnenuhr ist langsam heute, so dass ich innehalten und Atem schöpfen kann. Von hier oben überblickst du alles; das Dorf, das Tal, die Insel, das Meer. Schwalben gleiten mühelos am Berg aufwärts, über mich hinweg und hoch zum Fels, wo sie ihre Nester haben, wo ihre Jungen piepsend ihre Schnäbel aufspannen. Fliegt nur! Fliegt!

Hinter dem Bethaus, den Eselspfad und Berg hinauf, an unserem Garten und unseren Feldern vorbei, am Müller und an den Windmühlen vorbei, über den Berg rüber und auf der anderen, der steilen Seite wieder runter, da liegt die Siedelei mit ihrem Glänzedach, einsam und versteckt in einer Mulde. Da wohnen die Betmänner mit ihren Schülern in Stille und All-Einheit. Da stört sie nichts, nicht einmal das Gerausch des Meeres, das tief unten an die steile Küste donnert, das hält die Mulde ihnen vom Leib. Ich war erst einmal dort, um ihnen Öl zu bringen, mi