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Eine Fingerkuppe FreiheitOverlay E-Book Reader

Eine Fingerkuppe Freiheit

Historischer Roman | Aus dem Leben des Louis Braille | Über den Erfinder der Blindenschrift | Thomas Zwerina

E-Book (EPUB)
2024 Harpercollins Ebook
Auflage: 1.1
192 Seiten
ISBN: 978-3-7499-0659-8

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Kurztext / Annotation

'... der Junge wird Euch mit seinen sieben Jahren die Fantasie lehren wie ein Michelangelo die Farbe...'

Paris 1821, am Institut National des Jeunes Aveugles, Frankreichs nationaler Blindenanstalt: Es ist die 'Nachtschrift' eines gewissen Charles Barbier, die den blinden Louis Braille in tiefes Grübeln versetzt. Fasziniert streicht der Junge mit den Fingerkuppen über die erhabenen Zeichen und stellt sich die eine Frage: Ist diese Schrift, die ursprünglich als Geheimschrift für das Militär ersonnen war, etwa das Vehikel in die Freiheit? Und siehe da - nach anfänglichen Schwierigkeiten gelangt er zu sechs einfachen erhabenen Punkten. Sie sind - so wird ihm bewusst - der Schlüssel zu all dem Wissen, das in den Büchern der Sehenden schlummert und nach dem er unendlich dürstet.

Ein atmosphärischer Roman über das Leben eines beeindruckenden Mannes, dessen Erfindung so vielen die Welt eröffnet: Louis Braille.



Die Liebe zu Literatur und Sprache führte Thomas Zwerina zum Studium der Anglistik und Germanistik an der J. L. U. Gießen. Über die Jahre hat der umtriebige Autor und Komponist Bühnenerfahrung in den Bereichen Literatur, Theater und Musik gesammelt. Gemeinsam mit Evi Lerch bildet Zwerina das musikalische Duo Cellular Fools. 2018 ist Thomas Zwerina vollständig erblindet, was ihn aber als Kunstschaffenden nicht müde werden lässt.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

KAPITEL 1

DER PSALM DES PALLUY

»Ihr müsst den Jungen in Eure Klasse aufnehmen, Monsieur Bécheret. Ich verbürge mich für den kleinen Kerl, hört Ihr?« Im Hintergrund lärmte es. Gäule wieherten, Pferdegeschirre rasselten, Wagenräder knarzten durch die engen Gassen. »Wir dürfen es nicht zulassen, dass das Kind wie ein Stallhase stumpf dahinvegetiert.«

Abbé Palluy hatte am Rande der pfingsttäglichen Feierlichkeiten die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und sich mit einem Stück Zwiebelkuchen still und leise dem Dorfschullehrer von der Seite genähert. Der junge Mann mit den dunkelbraunen Haaren und dem dreieckigen Gesicht war erst unlängst an die Schule berufen worden und saß unter den lichten Walnüssen. Antoine Bécheret schob das Weinglas, das vor ihm stand, an den Rand des Tisches, strich sich über das Wams und ließ sich nachschenken. Eine Pfeife klemmte zwischen seinen breiten Schneidezähnen. Er paffte ein gequetschtes »Bonjour« durch den blaugrauen Tabakdunst und erklärte Palluy segelohrig, dass er nichts gegen den jungen Braille habe, allein, es fehle ihm an der notwendigen Fantasie, wie Louis sich unter all den anderen Kindern zurechtfinden solle, woraufhin Jacques Palluy milde in sich hineinlächelte.

Der ehemalige Benediktinermönch war unter den Leuten für seine Geduld bekannt. Er hatte ein gütiges Wesen. Seine Seele glich einem Orgelpsalm. Ihn aus der Ruhe zu bringen war also nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, verkörperte der Besitzer dreier Bienenkörbe doch die Ruhe selbst. Er hatte sich etwas in den Kopf gesetzt, hatte einen Weg eingeschlagen und war von diesem Weg nicht mehr abzubringen. Wahrhaftig! Und so stand er also inmitten allen Getümmels gravitätisch, wie ein dickschädliger Ochse, vor Bécheret, mit beiden Hufen auf dem Boden der Schöpfung, und wippte mit dem bulligen Oberkörper im Takt der Musik, die hinter ihnen aufspielte. Vom allgegenwärtigen Summen des irdischen Daseins erfüllt, blickte Jacques Palluy salbungsvoll zur Seite und gluckste angesichts dessen, was sich seinen beiden Augenbällen darbot. Die bunte Ausgelassenheit, der Frohsinn seiner Gemeinde machte dem leidenschaftlichen Boule-Spieler Laune, und er fragte sich sanftmütig, wer von seinen Schäfchen nach dem Fest wohl zu ihm in den knarrenden Beichtstuhl stiege und sich, vom schlechten Gewissen geplagt, seiner Verfehlungen zu entledigen suchte.

Frauen und Mädchen drehten sich lustig in einer Quadrille. Röcke und Haarbänder flogen durch die laue Luft, Augen und Schuhe blitzten frevelhaft schön, und die Männer lachten breitbeinig, wie sie es immer taten, wenn sie beisammensaßen und die Spielkarten auf den Tisch warfen, eine Pik Zehn, einen König, das Ass, voilà, und der Sack war zugeschnürt. Ein kleines Mädchen lächelte ihm zu. Es war eine wahre Wonne. Palluy ging das Herz auf. Das ganze Dorf schien auf den Beinen. Der Abbé streckte seinen Nasenmuskel genießerisch aus. Ob ihn die Soutane von all den Verführungen an jenem Nachmittag im Mai 1816 abhielte? Wohl kaum! Er schaute sich um, blickte zu den Ständen und Buden, die, einem Rosenkranz gleich, aneinandergereiht standen und wo die Händler jetzt ihre Waren lautstark feilboten. Es roch nach Pomaden, Seifen und Puder, Würsten, geräuchertem Schinken, Pasteten, Bratäpfeln, den ersten frischen Kräutern und natürlich nach den typischen Käsen und Bries der Region. Man aß, man trank, man tauschte sich über den neuesten bescheidenen Tratsch aus dem bischöflichen Meaux aus, debattierte, politisierte, scherzte laut lachend miteinander und nahm ein gepflegtes Bad in der Menge. Niemand von den Anwesenden hätte an jenem Nachmittag vermutet, dass sich hier an diesem Punkt, in diesem unbedeutsamen Flecken namens Coupvray mit seinen 453 Seelen, 35 Kilometer östlich von Paris im Département Seine-et-Marne gelegen, die Weichen der Welt auf eigentümliche Weise stellen sollten, und zwar auf eine Art, dass es die Mensch