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Ich war zu jung, um zu hassen. Meine Kindheit in AuschwitzOverlay E-Book Reader

Ich war zu jung, um zu hassen. Meine Kindheit in Auschwitz

Lidia Maksymowicz; Paolo Rodari

E-Book (EPUB)
2024 Heyne Verlag; Solferino Editore, Rcs Media Group S.p.a., Milano
192 Seiten; mit Bildteil
ISBN: 978-3-641-31373-9

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Kurztext / Annotation
Lidia Maksymowicz ist drei Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert wird. Dreizehn Monate lang überlebt sie in dieser Hölle, getrennt von ihrer Mutter, in der Kinderbaracke. Sie ist eines der kleinen »Versuchskaninchen« von Dr. Josef Mengele, der seine lebensbedrohlichen »Experimente« an ihr durchführt. Lidia sieht, wie die anderen Kindern nach und nach sterben, an den Folgen der Experimente, am Hunger. Sie selbst ist eine der Wenigen, die überlebt - auch durch die Liebe ihrer Mutter, die sich in lebensgefährlichen Momenten in ihre Baracke schleicht, ihr etwas Gemüse oder Brot zusteckt, sie in den Arm nimmt und ihr einbläut, vor den SS-Männern keine Emotionen zu zeigen, um nicht ihren Zorn auf sich zu ziehen. Nach quälenden 13 Monaten ist der Krieg zu Ende. Doch nach der Befreiung findet Lidia ihre Mutter in Auschwitz nicht. Man erzählt ihr, dass sie tot sei. Doch Lidia hört nicht auf zu glauben, dass ihre Mutter am Leben ist und nach ihr sucht. Und tatsächlich gleicht es einem Wunder, dass Lidia sie eines Tages wiederfindet...
Lidia Maksymowicz hat beschlossen, ihr Leben dem Erzählen ihrer Geschichte und dem Schreiben zu widmen. Denn es kann sich alles wiederholen. »Wir sind wieder dabei, Worte des Hasses, der Spaltung, der Abschottung zuzulassen. Wenn ich sie aus dem Munde von Politikern höre, verschlägt es mir den Atem. Hier, in meinem Europa, zu Hause, immer noch diese schrecklichen Worte. Gerade jetzt, in Momenten wie diesen, kann die Dunkelheit wieder über uns hereinbrechen.«

Lidia Maksymowicz, 1940 geboren, wurde Ende 1943 zusammen mit ihrer Mutter, einem Bruder und den Großeltern aus Belarus nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Von Dezember 1943 bis zur Befreiung des Lagers durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 verbrachte sie 13 Monate in der »Kinderbaracke« des KZ, wo sie den Menschenversuchen von Josef Mengele ausgesetzt war. Trotzdem überlebte sie das Konzentrationslager so lange wie kein anderes Kind. Erst 1962, 17 Jahre nach der Befreiung, fand sie ihre Mutter wieder. Lidia Maksymowicz lebt heute in Krakau.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

WENIGE ERINNERUNGSFETZEN. WIE BLITZE, DIE IM Dunkel einer fernen Nacht aufflackern und verschwinden, weit weg in der Zeit und doch nah, so nah, als wäre es gestern gewesen. Sie begleiten mich seit Jahrzehnten, seit man mich mit meiner Mutter ins Konzentrationslager deportiert hat.

Ich bin fast vier Jahre alt, sie ist zweiundzwanzig.

Sie hält mich im Arm, als wir am Gleis von Birkenau aussteigen. Es ist Dezember 1943. Und es herrscht bittere Kälte. Der Schnee fällt wie Eis. Ringsumher nichts als Ödnis. Ich schaue auf den rotbraunen Waggon, in dem wir tagelang eingepfercht gefahren sind, die Beine längst taub, dazu das Gefühl, jeden Moment ersticken zu müssen. Fast übermächtig nun der Drang, ihn wieder zu besteigen. Eben noch wollte ich nur raus, nach Sauerstoff gierend, nach Luft. Jetzt nicht mehr, jetzt will ich wieder hinein. Will nur zurück. Will heim.

Ich erinnere mich an Arme, die mich fest umschlingen. Meine Mutter, die mir das Gesicht verhüllt. Oder bin ich es, die ihr Gesicht vergraben will an ihrer Brust, die nach der schier endlosen Reise ganz eingefallen ist? Ununterbrochen hat der Zug beschleunigt und verlangsamt. Nicht enden wollende Zwischenhalte vor unbekannten Landschaften.

Deutsche Soldaten teilen die Neuankömmlinge in zwei Reihen auf. Ein paar Dutzend Meter hinter uns, auf einem aus Ziegeln erbauten Turm, stehen Wachsoldaten. Wir landen in der rechten Reihe. Viele andere in der linken, ausgelesen unter den Ältesten, wahrscheinlich erachtet man sie als die Gebrechlichsten und Schwächsten. Wenige Anhaltspunkte lassen erahnen, wie es ausgehen wird. Es gibt keine Worte, nur Resignation. Für jegliches Aufbegehren fehlt die Energie. Es fehlt die Kraft für die Durchsetzung jedweder Art von Rebellion.

Ich stinke, meine Mutter stinkt auch. Es stinken auch alle anderen, die gerade aus dem Zug gestiegen sind. Und doch ist dieser Geruch das einzig Freundliche, das einzig Vertraute in einer fremden Welt. Wo sind wir? Niemand spricht, niemand bietet Erklärungen an. Wir sind einfach hier.

Das Gebell der Hunde ist etwas, das ich nie vergessen habe. Noch heute, wenn auf der Straße ein Hund bellt, schnellen die Gedanken hierher zurück, auf diese inmitten von Schnee und Wind treibende Rampe, während die Soldaten ihre Befehle kläffen. Oft kehren die SS - ich werde lernen, sie so zu nennen - im Schlaf zurück, in Träumen, die real erscheinen. Die mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf schrecken lassen, schweißgebadet, verängstigt, zitternd. Sie schreien, ohne dass ich den Sinn ihrer Worte verstehe. Und dann das Spucken, das höhnische Gelächter, die Blicke voller Hass.

Die Tiere werden an der Leine gehalten. Sie schäumen aus dem Maul, aufgehetzt durch die Ruten der Deutschen. Es macht ihnen Spaß, sie auf uns zuzutreiben, und sie blecken ihre Zähne, stellen sich auf die Hinterbeine, ohne zu merken, dass die Beute vor ihnen sich bereits ergeben hat. Sie ist längst tot.

Mit Gewalt wird meine Mutter von mir getrennt. So wie andere Mütter von anderen Kindern. Schreie und Tränen. Sie wird weggebracht, ich weiß nicht, wohin. Kurze Zeit später sehe ich sie wieder, kahl rasiert und vollständig nackt. Sie hat kein einziges Haar mehr. Aber sie umarmt mich trotzdem. Und sie lächelt. Ich erinnere mich, sie lächelt mich an, als wolle sie sagen: Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung. Ich frage sie: Wo sind deine Zöpfe geblieben? Sie antwortet nicht. Und die Großeltern? Wo sind die Großeltern geblieben? Und wieder bekomme ich keine Antwort.

Wir schauen zum hinteren Ende des Lagers. Schwarzer Rauch quillt aus zwei Schornsteinen. Später erfahre ich, dass sie den Flammen als Abzug dienen, die in den Öfen der Krematorien lodern.